Haben Bäume Gefühle und dürfen wir Bäume und Wälder lieben?

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3. Februar 2025

Dieser Beitrag entstand als mein Leserbrief für eine regionalen Zeitung, der HNA in Nordhessen, als Reaktion auf zwei Artikel: Die Standpunkte der Autoren könnten scheinbar kaum unterschiedlicher sein: „Bäume sind Lebewesen wie Du und ich.“ versus „Vermenschlichung von Bäumen schadet dem Wald“. Da in der Zeitung nur eine sehr gekürzte Version meines Leserbriefes gedruckt werden konnte, hier die Version in ihrer ursprünglichen Länge:

 

 

Ich habe zwischen Weihnachten und Neujahr „mal den Wald in meiner Nähe besuchen“ wollen. Ein Wald, der bis vor fünf Jahren einer der beeindruckendsten Eichen- und Buchen-Mischwälder war, die ich im weiteren Umfeld von Frankenau kenne, bestimmt 150 – 200 Jahre alt. Ein Wald, in dem mir immer das Herz aufging, in dem ich Ehrfurcht vor dem Leben selbst, vor der Schönheit und Weisheit lebendiger Prozesse erlebt habe, in dem meine Seele sich zuhause fühlte. Der Wald sprach in seiner Weise und brauchte dafür weder menschliche Worte noch menschliche kognitive Fähigkeiten.

Als ich auf meinem Spaziergang dorthin kam, war ich fassungslos, hatte Tränen in den Augen, konnte es nicht glauben, dass solch eine Verwüstung unter „nachhaltiger Forstwirtschaft“ subsumiert wird. Die Fläche war praktisch ein Kahlschlag. Die uralten Baumstämme säuberlich aufgereiht am Wegesrand, fertig zum Abtransport. Eine Lebensgemeinschaft Wald verwandelt in kapitalbringenden Rohstoff. Verantwortet von wahrscheinlich „gut“ ausgebildeten Forstamtsleitern.

Ja, liebe Leserinnen und Leser, gehen Sie in die Ihnen benachbarten Wälder mit offenen Augen, wachem Verstand und fühlendem Herz. Nehmen Sie all Ihren Mut zusammen, möglicherweise nicht nur Erholung, sondern auch die Trauer und die Wut zu spüren über das, was sie sehen und hören, den Mut, sich nicht als „Laie“ abwerten zu lassen, wenn Sie berechtigte Fragen haben. Die Deutungshoheit darüber, was gerade hier in Nordhessen mit unseren alten Buchen- und Eichenwäldern passiert, überlasse ich nicht mehr den Forstverwaltungen.
In meinen Augen ist es unverantwortlicher Raubbau an der Lebensumwelt unserer Kinder und Enkel. Forstfachleute anderer Bundesländer schütteln ungläubig den Kopf darüber, mit welcher Rücksichtslosigkeit in Nordhessen die alten Laubwälder für ein bisschen Profit ausgebeutet werden, bis sie so aufgelichtet sind, dass auch die letzten Altbäume, die vereinzelt wie auf einer Streuobstwiese stehen, nicht mehr gesund und überlebensfähig bleiben.

Wir in Europa haben eine jahrhundertelange Geschichte mit Entfremdung von der Natur. Eine lebenswerte Zukunft für die nächsten Generationen braucht die Bereitschaft, alte Mindsets und Denkboxen zu verlassen, in denen die Erde als reines Ressourcenlager konzipiert wird und Nachhaltigkeit noch immer unter dem reinen Nutzungsaspekt für den Menschen gesehen wird.

Weise Entscheidungen entstehen nicht aus dem Studieren von Zahlen und Statistiken allein, sondern aus dem Zusammenwirken von Herz und Verstand, es geht um die Fähigkeit, in Beziehung zu treten auch mit unserer natürlichen Mitwelt, es geht um innere Werte und ihre Vermittlung, es geht um die Anerkennung, dass der Mensch ein Teil des Ökosystems Erde ist und sich nicht außerhalb davon stellen kann.

Sogar in der wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung unserer westlichen Gesellschaften ist diese Erkenntnis bereits angekommen. (vgl. z.B. Forschung am Fachgebiet „Cultures of Sustainability“ der Uni Kassel . Gleichzeitig ist dieses Wissen viel älter: „Nur indem wir das Eis in den Herzen der Menschen schmelzen, hat der Mensch die Chance, sich zu ändern und sein Wissen wiese anzuwenden.“ (Angaangaq, traditioneller Ältester aus Grönland).

„Bäume sind Lebewesen wie Du und ich.“ So in dem Artikel benannt. Ja genau. Das Netz des Lebens unterscheidet nicht. Gesundheit und Wohlbefinden der Erde, der Wälder, des Wassers, der Tiere und der Menschen sind untrennbar miteinander verbunden.
Ob die Lebensäußerungen von Bäumen als Empathie bezeichnet werden können ist weniger wichtig für das Überleben der Menschheit als die Frage, ob wir Menschen unsere Empathiefähigkeit stärken und auch auf unsere natürliche Mitwelt beziehen können.

Gehen Sie in Ihre benachbarten Wälder und geben Sie den Wäldern Ihre Stimme, wenn Sie Fragen und Zweifel haben an der Weise, wie für sie gesorgt wird. Bäume haben keine menschliche Stimme, sie sitzen in keinem Gemeinderat und in keiner zuständigen Verwaltung, die Entscheidungen fällt. Dort sitzen übrigens auch nicht Ihre Kinder und Enkel. Dort sitzen Sie oder Menschen, die Sie kennen.