Achtsamkeit, Naturbeziehung & Nachhaltigkeit

Achtsamkeit, Naturbeziehung & Nachhaltigkeit

oder

Herz & Verstand

 

Verstand:

Die Themen Achtsamkeit und Nachhaltigkeit haben beide, jeweils einzeln für sich, in den letzten Jahren immens an Bedeutung gewonnen: Achtsamkeit v.a. im Kontext von Gesundheits-Prävention und Stressbewältigung, Nachhaltigkeit als wiederholt benanntes globales Ziel. Schon vor 50 Jahren, 1972, machte der Club of Rome mit seinem Bericht über die Lage der Menschheit und die Grenzen des Wachstums auf die dramatische lage aufmerksam, spätestens im Jahr 2015 wurde das Thema Nachhaltigkeit mit der Verabschiedung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch: Sustainable Development Goals, SDGs) durch die Generalversammlung der UNO in seiner Bedeutung bestätigt.
Auf die Frage, warum im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit bisher keine wirklich substanziellen Veränderungen stattgefunden haben, gibt es wahrscheinlich viele verschiedene Sichtweisen, sie wurde und wird viel beforscht, sowohl individuelle Faktoren als auch kollektive gesellschaftliche Gründe werden dabei gesehen, bis hin zu machtpolitischen Interessenlagen.

Herz:

Heute, im Jahr 2022, sind beide Themen aktueller denn je: Menschen sehnen sich nach Ruhe, nach Pausen von der immer noch zunehmenden Reizflut und sind gleichzeitig konfrontiert mit einer zunehmend aus der Balance kommenden ökologischen Gleichgewicht auf unserer Erde, die bei vielen Menschen, wenn sie eine bewusste Wahrnehmung der Zerstörung und Degradierung unserer lebendigen Umwelt wagen, zu tiefen Ängsten, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit führen können, v.a. auch in der jungen Generation, für deren Zukunft wir als Erwachsenen heute mit unserem Tun oder Nicht-Tun die Weichen stellen.

Verstand:

In dieser Situation erscheint auf den ersten Blick die Hinwendung zum Thema Achtsamkeit als Weg zu nachhaltigerem Verhalten schlüssig, die wissenschaftliche Forschung beginnt gerade, das Thema zu entdecken. Denn schließlich gehe es ja bei Achtsamkeit, sehr vereinfacht angenommen, um die Änderung automatisierter Denk- und Verhaltensweisen und um die Bewusstmachung eigener Werte, was ja der Entwicklung nachhaltiger Verhaltensweisen dienen sollte. Einen befriedigenden Nachweis darüber konnte aber im Rahmen westlicher Forschungsmethoden noch nicht erbracht werden.
Mehr dazu in meiner Masterarbeit, auf dieser Seite unter Medien in Kürze zugänglich.
Soweit der sehr vereinfacht umrissene Rahmen. 

Herz & Verstand:

Ich möchte an dieser Stelle einen Ausschnitt meiner Geschichte mit diesen Themen schildern, die ein wenig die weiteren Themen von The Listening Nature erklärt und die mich zu anderen Schussfolgerungen bringt.
Meine Fragen zur Mensch-Natur-Beziehung begleiten mich schon mein gesamtes Leben. Im Rahmen meiner Diplomarbeit im Fachgebiet Landespflege zum Thema Schulischer Umweltbildungsarbeit vermutete ich schon 1995 (noch relativ ahnungslos über psychologische Forschungsmethoden) folgenden Zusammenhang.

Damals in den 1990-er Jahren begann das Thema direkter Naturerfahrung in der Umweltbildung immer mehr an Bedeutung zu gewinnen. 25 Jahre später im Rahmen meiner psychologischen Masterarbeit zum Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Nachhaltigkeitsverhalten hatte ich diese Ahnung zu verfeinern und in eine im westlichen Forschungsparadigma statistisch nachweisbare Forschungshypothese zu bringen.

Ich hatte das große Glück, im Rahmen der dafür erforderlichen umfangreichen Literaturrecherche Beiträge einiger indigenen WissenschaftlerInnen zum Thema Nachhaltigkeit zu lesen, gleichzeitig habe ich über Jahrzehnte von verschiedenen indigenen LehrerInnen lernen dürfen.
Dabei wurde mir schnell bewusst:
Die Themen Achtsamkeit und Nachhaltigkeit, die wir versuchen, in westlichen Denk- und Forschungsweisen in Modellen mehr oder weniger mechanistisch miteinander zu verbinden, sind in indigenen Gesellschaften oft selbstverständlich gelebter Alltag, gelebtes Weltbild und gelebte Spiritualität, soweit ihnen der Erhalt ihrer Kultur unter gegebenen kolonialen Bedingungen möglich war und ist. ( mehr dazu s. link). Auch, wenn die westliche Forschung erst gerade beginnt, die Verknüpfung von Achtsamkeit und Nachhaltigkeit für sich zu entdecken, ist mir nach meiner Beschäftigung mit dem Thema klar: Solange wir nicht an unseren Grundannahmen über die Welt, darüber ,was als „Wissen“ gilt und wie es durch scheinbar allgemeingültige westliche Forschungsmethoden zu generieren ist, rütteln und uns ehrlich und wahrhaftig den Fragen stellen: „Welches Wissen ist es eigentlich wert, als wesentliche Inhalte an unsere jungen Generation weitergegeben zu werden?“ „Was sind unsere umfassendsten, weisesten Erkenntnisse zu diesem Thema?“, solange wird eine Transformation unserer Gesellschaft, die diesen Namen wirklich verdient, nicht stattfinden.
Diese Einsicht führt bei mir nicht zu Resignation, sondern dazu, mich noch intensiver mit der Frage des Mensch-Naturverhältnisses auseinanderzusetzen, v.a. auch mit der Frage, wie es in seiner heutigen durch Medien und Wissenschaft dargestellten und über Generationen entwickelten Form zustande kam. Da gilt es, eine Jahrhunderte, besser Jahrtausende währende europäische Geschichte zu betrachten, eine Geschichte sich entwickelnder Lebensformen, Gesellschaftsformen, Machtstrukturen und einer sich darin verändernden Spiritualität. Diese Entwicklungen hatten dann durch koloniale Eroberungen und haben noch heute durch weiter bestehende globale Machtstrukturen Einfluss auf den ökologischen Zustand des gesamten Planeten, Einfluss auf unseren Umgang mit Mutter Erde. ( link)

Und natürlich entsteht dabei die noch viel wichtigere Frage:
Wie kann unser Verhältnis zur Erde wieder ein anderes werden? Wie können wir wieder lernen, die Erde und all ihre Wesen nicht mehr als ein Rohstofflager zu sehen, dass der menschlichen Nutzung und Ausbeutung zu dienen hat, sondern uns als Teil eines Lebensnetzes zu sehen, von dem wir Menschen ein Teil sein dürfen?
Glücklicherweise haben sich in den letzten Jahrzehnten verschiedene VordenkerInnen von einer anderen, von Wissenschaft und Medien unabhängigen herzbasierten Sicht- und Fühlweise auf das Mensch-Naturverhältnis gewidmet, in denen Achtsamkeit immer auch eine Rolle spielt.
Wenn ich hier einige Beispiele nenne, ist das eine eher zufällige Auswahl, die sich aus meinem Lern- und Lebensweg ergibt, diese Auswahl stellt keine Bewertung vieler anderer Wege dar, die hier unerwähnt bleiben.

Einige Ansätze verbanden zunächst Achtsamkeit und Naturkontakt mit physischer und psychischer Gesundheit:

  • Marc Colemann, der als Outdoor Coach und Meditationslehrer in seiner Arbeit buddhistische Praxis und das darin enthaltende Lernen von Achtsamkeit, oder besser, eines reinen Gewahrseins verbindet mit direkter Naturerfahrung.
  • Die in Japan entwickelte Praxis des „Waldbadens“, die sich auch in Deutschland inzwischen als gesundheitliches Präventionskonzept großer Beliebtheit erfreut.
  • Caroline Brazier, die in ihrem Model einer „Ökotherapie“ (engl. Ecotherapy) buddhistische und naturbasierte Elemente in ihre psychotherapeutische Arbeit.

Umfassendere Ansätze bringen Menschen, die in westlichen Gesellschaften sozialisiert sind, wieder mit einer Vorstellung von einem Netz des Lebens in Berührung, von dem wir – nur – ein Teil sind und in dem alles miteinander verbunden ist.

  • Joan Macy mit ihrer Arbeit „The Work that reconnects“, im deutschsprachigen Raum immer Tiefenökologie bekannt.
  • Die Arbeit mit naturbasierten Übergangsritualen (Rites of Passage, Visionsquest, im Deutschen Initiatische ), die z.B. durch Steven Foster und Meredith Little (USA, School of Lost Borders) entwickelt wurde.

Einige dieser Ansätze sind inspiriert durch indigene Traditionen oder auch buddhistische Ansätze und es gibt inzwischen viele buddhistische LehrerInnen, die die ökologische Dimension buddhistischer Praxis verstärkt und explizit lehren.

Wie schon oben erwähnt, erscheint mir aber die Weise, wie indigene Gesellschaften in ihren Traditionen ökologisches Wissen, gelebtes offenes Gewahrsein und spirituelle Praxis miteinander verbinden, eine beeindruckende Quelle der Weisheit, die schon lange viele Menschen intuitiv anzieht, und die erst seit kurzem auch Interesse weckt im Kontext westlichen wissenschaftlicher Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung.. ( s.a. mein Essay dazu. Und den Menupunkten Dekolonialsierung der nachhaltigkeitsdebatte und Indigene Weisheit

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